Rennbericht Montane Spine Race - Brigitte unplugged

Ich sitze am Flughafen in Edinburgh und es ist schwer, die Augen offen zu behalten. Die vielen Menschen hier sind gewöhnungsbedürftig. Zu lange war ich auf weiter Flur alleine in der Natur.  

Nachdem wir gestern um 19 Uhr die Hauswand des kleinen Pubs erreicht hatten, bin ich nach ordentlicher Essensportion in meinen Schlafsack gefallen und eingeschlafen. In der Nacht dachte ich mehrmals, dass ich aufstehen müsse und weiterlaufen sollte. Der wenige Schlaf ist tatsächlich etwas vom Härteren an diesem Rennen.    

Aber alles von Anfang an: Samstag, 8 Uhr in der Früh. Wir stehen an der Startlinie und warten, dass das Abenteuer beginnen kann. Es ist mein längstes Rennen bisher und ich bin nervös. Heinz, der einzige Mann aus der Schweiz und ich laufen zusammen los. Wir ergänzen uns gut, auch wenn das Tempo etwas zu optimistisch zu sein scheint. Aber wir sind beide der Meinung: Was me het, das het me.

Wir laufen gut zusammen. Meine Suunto stellt sich als navigatorischer Held heraus und bekommt den liebevollen Namen George. Ich stelle fest, dass ich auch alleine laufen könnte, was mich beruhigt. Nach längerem Laufen in horrender Hitze kommen wir an einen Snackstand. Ich gönne mir drei Dosen Cola und Heinz eine Wurst. Wir laufen gut weiter und beschliessen, am Checkpunkt 1 nur kurz warme Kleider anzuziehen, zu essen und die Nacht durchzulaufen. Äbe, was me het, das het me!

Auch die Nacht läuft gut. Der Mond ist hell, George übernimmt die Navigation und wir kommen gut voran. Plötzlich kommen wir an ein Schild: Food in 500m. Heinz meint: wohl nicht mitten in der Nacht. Was für eine Überraschung: doch mitten in der Nacht treffen wir auf zwei Männer, die uns auf einem mobilen Herd ein warmes Baconsandwich kochen. Vegetarismus adee – sorry, liebes Schweinchen, aber das war einfach nur fantastisch und eine rettende warme Mahlzeit in der kalten Nacht.    

Es wird heller, Heinz und ich werden müde und legen uns für 10 Minuten auf den Weg. Die Kälte und Nässe lässt einem aber kaum schlafen. Wir laufen weiter und wissen, dass wir bei Checkpunkt 1.5 schlafen müssen. Es wird heiss, doch wir ziehen das Tempo durch. Bei Checkpunkt 1.5 schlafen wir auch nicht. Erst bei Checkpoint 2 soll etwas geschlafen werden. Bis dahin ist es ein weiter Weg. Plötzlich merke ich, wie müde ich werde nach 24 Stunden ohne Schlaf. Ich lasse Heinz ziehen und drossle das Tempo.    

Laufen mit mangelndem Schlaf ist eine neue Erfahrung für mich. Die Leistungsfähigkeit nimmt massiv ab und ich beschliesse, bei Checkpoint 2 zwei Stunden zu schlafen. Bis dahin ist es ein langer, heisser Weg. Meine 3-Liter Trinkflaschen sind leer, und ich bin unendlich froh, dass ich in der Ferne ein Dorf sehe. Ich weiss, dass ich beim ersten Haus anklopfen werde und um Wasser bitten muss. Es kommt aber viel besser: da ist ein Cafe!!! Die roten Sonnenschirme sind die Erlösung! Ich kaufe 3 x 5dl Flaschen Cola, 1 Glace, sehe, dass jemand Frappe bestellt hat, bestelle 5dl davon, sehe, dass ein Mann ein Eiertoast isst und verlange auch eines. Der Wirt fragt mich, wo ich und die anderen sitzen, ich zeige auf den einsamen Tisch und er lacht. Während ich alles in 10 Minuten verschlinge, klärt mich der Wirt über den Schweizer Fussball auf. Ich sehe nur Essen, der Fussball ist mir ziemlich egal.    

Dann höre ich, dass die zweite Frau bald hier sein wird. Der Ehrgeiz packt mich und ich breche auf. Nach weiteren sechs Stunden erreiche ich endlich Checkpoint 2. Als ich aus den Schuhen steige, meint die Ärztin: Bridget, you will come with me. Hm ja, die Füsse sind eitrig und voller blasen. Der Nagel? Nein, den spüre ich nicht mehr. Während mir zwei Ärzte die Füsse verbinden, bekomme ich eine warme Mahlzeit, dann lege ich mich für zwei Stunden in meinen Schlafsack.    Der Schlaf stellt sich nicht wie gewünscht ein, zu sehr schmerzen die Füsse. Ich beschliesse, um Mitternacht loszulaufen. Vor dem Laufen in der Nacht hatte ich immer Respekt. Nun ist es wider Erwarten eine wunderschöne Erfahrung. George ist zuverlässig und ich geniesse den langen Anstieg, das Erreichen eines Gipfels und den einsamen Downhill. Ich komme mir vor wie in der Wüste, nur Hügel, kein Haus weit und breit. Hier und da liegt ein toter Hase auf dem Weg. Gewöhnungsbedürftig.    

Die Sonne geht um 5 Uhr auf, es wird heller. England schläft und ich habe eine grosse Strecke hinter mir gelassen. Ich bin stolz auf mich. Die Laune wird gut, ich singe und geniesse es. Dann erreiche ich Tan Hill, den höchstgelegenen Pub Englands. Dort werde ich wie immer liebevoll umsorgt: Porridge und Eiertoast. Beides schlinge ich dankbar hinunter. Ich will weiter, denn der Weg ist noch lang. Gegen Mittag schlägt meine Laune um. Die Füsse schmerzen so sehr, dass ich kaum noch gerade laufen kann. Leichtes Joggen geht, weil dann der Fuss weniger lange auf dem Boden liegt. Wanderer überholen mich und sie müssen etwas lachen über meinen grauenhaften Laufstil. Das heitert mich auf. Ich möchte nur Checkpoint 3 erreichen. Die letzten 10 Kilometer  ziehen sich endlos dahin. Die Hitze setzt mir zu. Die Füsse schwellen an und scheinen den Schuh zu sprengen. Ich versuche zu weinen, aber nicht einmal das geht. Keine Tränen, nur ein Heulen bringe ich zustande. Das Heulen muss dem meiner Hunde ähnlich sein, wenn ich das Haus verlasse. Dann steht er da: John, einer der Supporter. Er ruft: you are the first lady! Dann fragt er mich, ob ich die jungen Enten gesehen habe und zeigt mir Bilder auf seinem Telefon. I dont really care about these stupid ducks, die Enten sind mir ehrlich gesagt mehr als egal. Ich möchte nur aus den Schuhen raus und die Füsse aus den Bandagen nehmen.    

Checkpoint 3: ein wunderbares Curry, ein Topf mit kaltem Wasser für meine Füsse, eine super Ärztin, die mir die Füsse wieder neu tapt und 1.5 Stunden Schlaf, dann muss es weitergehen. Ich möchte nicht am Tag in dieser Hitze laufen. Die Füsse werden so dick und schmerzhaft, dass weniger Schlaf das kleinere Übel ist. Wider Erwarten komme ich gut voran. Die Nacht ist klar und George zuverlässig. Bei den Mutterkuhherden muss ich von Georges empfehlung abweichen. Be careful: bull! Hm, da mache auch ich freiwillig einen grossen Bogen. Ich gelange an einen langen Fluss und geniesse die Ruhe. Einmal möchte ich hierher zurückkommen. Man ist alleine mit der Natur.    

Am Ende des felsigen Anstiegs erwartet mich ein Supporter mit Kaffee und Porridge. Herzlichen Dank! Wenn die Sonne aufgeht, werde ich 30 Minuten schlafen. Vorher ist es zu kalt und zu nass. Ich liege direkt auf den Weg und versuche den Wecker zu stellen. Das reicht nicht mehr – schon bin ich im Tiefschlaf. Etwas Glibberiges weckt mich: ein Frosch sitzt auf meinem Oberschenkel. Well hello! Ich stehe auf und laufe weiter, durch die schönsten einsamen Berge, Schafe, Wildpferde. Es geht mir gut. Ich erreiche die Hälfte der Strecke bis zu Checkpoint 4 und freue mich auf die vier Berge, die zu überwinden sind. Meine Muskeln sind guten Mutes. Ich bin dankbar, dass ich so fleissig in das Krafttraining investiert habe. Die Berge liegen mir und ich komme gut voran. Wieder 10 Kilometer vor Checkpoint 4 kommt der grosse Schlag. Es ist heiss, der Weg zieht sich endlos und ein Dorf ist nirgens zu sehen. Zwei Wanderer muntern mich auf und geben mir Wasser. Ein Mann mit hervorstehenden Zähnen fragt mich: do you want jelly babies? Nein, ich will keine, aber muss zum ersten Mal etwas lachen.    

Endlos dankbar erreiche ich Checkpoint 4. Alex, einer der Ärzte, schüttet mir kaltes Wasser über den Kopf und nimmt meine Tapes von den Füssen. Minutiös werden die neuen Blasen geöffnet und eingetaped. Ob ich noch grössere Schuhe habe? Hm, nein, nur eine Grösse 40, die ist schon drei Nummern grösser. Ich fühle mich wie Aschenbrödels Konkurentin, die versucht, sich in den zu kleinen Schuh zu zwängen. Ich will weiter. Ich mag die Nacht und weiss, dass sie mich weiterbringt. Doch diesmal ist die Nacht der reinste Albtraum. Die Füsse schmerzen so sehr, dass ich das Gefühl habe, ich müsse meine Schuhe aufschneiden. Die Stöcke sind die Rettung und ich stütze mich die nächsten Kilometer durch Schafherden und Kuhherden ab. Die Schafe beginnen mich zu nerven. Sie rennen immer in die falsche Richtung. Will ich selber wirklich Schafe? Oder doch lieber zwei Schweinchen?    

Der Koffeinshot bringt nichts und meine Augen fallen mir permanent zu. Nach dem langen Moor werde ich kurz abliegen. Das Moor ist endlos, nass und kalt. Ich bin zu müde und lehne mich an ein Kuhgatter. Den Wecker zu stellen schaffe ich nicht mehr.  Get up, höre ich jemanden rufen. Es ist Bobby, ein Läufer mit einer wahrscheinlich gebrochenen Hand. Er ist das Spine bereits im Winter gelaufen und ich schätze seine Gesellschaft, auch wenn er kein Kommunikationswunder ist. Wir laufen zusammen weiter. Es ist gut, jemanden neben sich zu haben, auch wenn er nur schweigt. Ich schenke ihm meine Cola, Karma, versteht sich. Wir passieren Hadrians Wall, einen endlosen heissen Wald und dann erklärt mir Bobby, wo Checkpoint 5 ist: 10 Kilometer, noch drei Hügel. Diese verfluchten 10 Kilometer, die sich immer ins Endlose ziehen. Die Füsse sind so geschwollen, dass ich lieber laufe anstatt zu marschieren.

Wir erreichen Checkpoint 5! Nur noch 64 Kilometer! Bobby und ich essen, die Ärzte kümmern sich um unsere Füsse. Diesmal möchte ich so wenig Polster wie möglich. Zu sehr schmerzen die zu kleinen Schuhe. Ich versuche zu schlafen, es funktioniert nicht und Bobbys Schlaf scheint sich auch nicht einzupendeln. Wir laufen bereits um 22 Uhr los. Kieran schliesst sich uns an. Kieran ist ein gutmütiger, fröhlicher Mann. Er bringt mich zum Lachen. Auch wenn er dreimal die gleichen Fragen stellt, ich schätze seine Anwesenheit. Ich vergesse kurz die schmerzenden Füsse und wir kommen gut voran. An einem Waldrand schlägt Bobby einen Powernap vor: 17 Minuten. Whyever 17! Wir erwachen vorher vom Geräusch unserer zitternden Beine in den langen Hosen. Die Nächte sind enorm kalt. Nun kämpfe ich richtig mit dem Schlaf und versuche möglichst schnell zu laufen, um dann am Weg kurz abzusitzen und zu schlafen, bis mich die zwei Männer einholen. Beim zweiten Nap auf dem Weg erwache ich und sehe Kieran schlafend neben mir. Ich muss lachen über dieses Bild: zwei Käfer auf dem Rücken ... er schreckt auf und wir gehen weiter.  

In beissender Hitze kämpfen wir uns durch die letzten grossen Berge. Dann springt Bobby plötzlich los. Kieran und ich denken, er hat ein Hirngespinnst. Nein, er sieht Hut 1, den zweitletzten Checkpoint! Es ist eine kleine Baracke im Niemandsland. Wir bekommen Wasser und legen einen kurzen Powernap ein. Wie neugeboren laufen wir weiter. Bobby erklärt uns, wo Hut 2 liegt. Drei Stunden weit weg von hier. Drei Stunden werden zu einem Nichts im Verhältnis zu diesen langen Tagen. Wieder die Füsse, die zu platzen scheinen. Ich erinnere mich an Atemübungen bei der Geburt meiner Tochter. Damals fand ich das eher lächerlich. Nun wende ich sie an. Einatmen und mit fünf Stössen ausatmen. Die Schmerzen nehmen ab, respektive das Atmen lenkt ab. Kieran muss lachen. Doch schon bald hat er solche Schmerzen im Fuss, dass er meine Übungen mitmacht. Ich gebe ihm meine Stöcke. Später kommt aus, dass er einen Ermüdungsbruch am Fuss erlitten hatte.    

Wir ziehen das nun durch. Hut 2: Es gibt Schokolade von einer Wandererin, dann die letzten 10 Kilometer. Auch die sind lang, aber es sind die letzten. Ich weine vor Glück. Wir waschen uns im Bach und stehen samt Schuhen in das Gewässer. Dann sehen wir ihn, den Pub, die Mauer – endlose Dankbarkeit!    

Das war mein härtestes Rennen bisher. Die Füsse haben mich an eine nie erlebte Schmerzgrenze geführt. Beim nächsten Rennen laufe ich mit fünf Nummern grösseren Schuhen!!! Das Rennen ist ein Abschätzen folgender Komponenten: Schlaf, Tempo, Essen und Trinken. Mit mehr Schlaf läuft es sich besser, weniger Schlaf kann aber auch ein früherer Zieleinlauf bedeuten. Laufen in der Nacht ist beruhigend, kühl, schön. Trink, soviel du kannst, das Gewicht zu tragen lohnt sich. Die Schuhe müssen mind vier Grössen grösser sein. Hoka? Hm, doch lieber Columbia? Zuviel Tape ist nicht gut. Atemübungen sind der Hit. Eier sind die Retter! Iss soviel davon, wie du bekommen kannst. Höre auf deinen Körper. Er läuft auf Sparflamme, aber er sagt dir immer, was er braucht. Laufe langsamer, wenn es der Körper wünscht, gebe Gas, wenn du kannst. Weine und lache!  

Vier Tage nach dem Rennen erwache ich immer noch jede Nacht mit dem Gedanken, dass ich weiter muss …    

Vielen lieben Dank an:    

  • Materli und Hannah für eure schönen Nachrichten und das Halten der Stellung. Danke, dass ihr meine Leidenschaft unterstützt! Hannah: geh immer deinen weg, mach aus deinem Leben, was dich glücklich macht, denn du hast nur eines! Ich werde dich dabei immer unterstützen!    
  • Matey für deinen riesen Support – du bist der Beste!    
  • Suunto für George – die Uhr ist der Hammer und hat mir das nötige Selbstvertrauen geschenkt.  
  • Salomon für den grandiosen Rucksack!    
  • Daniela für die gute Energie und das Vorbereiten meines Gerüsts.    
  • Ueli für das aufpeppen meiner Hüfte.    
  • Bigfriends für die Kleider und Schuhe – die Regenjacke von Raidlight ist der Wahnsinn!    
  • Susanne und das Team von RUN FOR HOPE, die mich immer unterstützen und pushen.
  • Chance Swiss für die Wahnsinnsprojekte, die ich kennenlernen durfte und die mich motivieren, immer mehr zu geben, und für den Glücksbringer fürs Rennen!
  • Alle, die mich immer unterstützen und motivieren, weiterzulaufen.